18.05.2018, Kategorie Archiv

Der gläserne Steuerpflichtige rückt näher

Unter dem Motto „Der gläserne Steuerpflichtige“ fand am 27.4.2018 an der Juristischen sowie der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam der 10. Potsdamer Steuertag des Vereins Potsdamer Steuerforum e.V. statt. Im Zentrum des Interesses stand dabei das in der Metapher vom gläsernen Steuerpflichtigen zum Ausdruck kommende Spannungsverhältnis zwischen immer neuen gesetzlich verordneten Transparenzanforderungen auf der einen und den Erfordernissen des Vertrauens- und Datenschutzes auf der anderen Seite. Vor dem Hintergrund der öffentlich bekannt gewordenen Strukturen um die sog. Panama Papers und Paradise Papers gewinnen gesetzliche Transparenzinitiativen auf nationaler und internationaler Ebene derzeit in vielfacher Hinsicht an Aktualität. Immer neue Vorschriften mit verschärften Erklärungs-, Angabe- und Anzeigepflichten belasten die Steuerpflichtigen und ihre Berater. Auch das (steuer-) strafrechtliche Verfolgungsrisiko nimmt zu. Die dahinter stehenden Transparenzforderungen lassen in besonderem Maße Fragen der Rechtsstaatlichkeit und des Daten- und Persönlichkeitsschutzes virulent werden. Darum ging es auf der mit ca. 100 Teilnehmern gut besuchten Veranstaltung, bei welcher der DStV durch den Vizepräsidenten des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg RA/StB Markus Deutsch, sowie durch seinen Hauptgeschäftsführer und den Geschäftsführer des Berlin-Brandenburger Verbands vertreten war. In seinem Begrüßungsvortrag ging der Vorsitzende des Vereins Potsdamer Steuerforum e.V. Prof. Dr. Andreas Musil der Frage nach, ob der Datenschutz im Besteuerungsverfahren durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGV) und deren Umsetzung in der Abgabenordnung (AO) ausreichend gewährleistet sei. Musil bejahte dies im Grundsatz, mahnte die Finanzbehörden aber auch zu einem umsichtigen Gebrauch der gesetzlichen Möglichkeiten. Ausdrücklich bedankte sich Musil für die von DStV-Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Pestke eingebrachte Klarstellung, dass bestehende Unzulänglichen bei der gesetzlichen Anpassung der AO an die DSGVO nicht den berufsständischen Organisationen angelastet werden dürfen; diese waren aus den Beratungen im Vorfeld der Verabschiedung der betreffenden datenschutzrechtlichen AO-Vorschriften weitgehend bzw. vollständig ausgeschlossen, so dass sie keine Gelegenheit hatten, Verbesserungen anzuregen. Die Vorschriften zur Änderung der AO waren entgegen üblicher Gepflogenheiten in einem Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes „versteckt“ (BGBl. I, S. 2541), eine Einbeziehung der Kammern und Verbände der rechts- und steuerberatenden Berufe ist – wohl mit Blick auf die angestrebte schnelle Umsetzung der Rechtsänderungen noch in der letzten Legislaturperiode – nicht erfolgt. Das Thema des anschließenden Vortrags von RA/StB Markus Deutsch lautete dann: „Neue Transparenz- und Informationspflichten als Belastungsprobe für die Steuerpflichtigen und deren Berater“. Dabei ging Deutsch u.a. auf die Verschärfungen des Geldwäschegesetzes und auf die geplanten Anzeigepflichten (europaweit und national) für Steuergestaltungen ein. In Bezug auf die Anzeigepflichten bezeichnet es Deutsch u.a. als widersprüchlich, dass die Mitgliedstaaten der OECD einerseits Gestaltungen wie Patentboxen und Holdingprivilegien zuließen, anderseits aber von den Steuerpflichtigen verlangten, solche Gestaltungen zu melden. Problematisch sei es aus Beratersicht, dass es bisher nicht gelungen sei, klar zu definieren, was meldepflichtig sein soll. Er frage sich auch, wie das politische Versprechen umgesetzt werden könne, nur „bedeutsame“ Gestaltungen meldepflichtig zu machen. Möglicherweise lasse sich hier an § 15b EStG anknüpfen. In seinem nachfolgenden Vortrag ging sodann Prof. Dr. Lenhard Jesse auf die infolge verschärfter Erklärungs-, Angabe-und Anzeigepflichten erhöhten (steuer-)strafrechtlichen Verfolgungsrisiken für Steuerpflichtige und ihre Berater ein. Dabei unterschied er zwischen vorgelagerten Pflichten (Angabe- und Anzeigepflichten), Steuererklärungspflichten und nachgelagerten Pflichten und ging sodann auf die eventuell einschlägigen (Steuer-)Straftatbestände ein. Als besonders kritisch sah er dabei die aus seiner Sicht kaum erfüllbare Rückwirkungsregelung zu § 138 Abs. 2 AO im Einführungsgesetz zur AO (ab dem 1.1.2018) an. Bei der Angabepflicht nach §§ 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 Satz 3 AO (sog. Freitextfeld = Zeile 98 des Mantelbogens zur ESt-Erklärung) sah Jesse noch erheblichen Klarstellungsbedarf, weil es hier viele Grenzfälle – z.B. in Bezug auf die Abweichung von Verwaltungsauffassungen – gebe. Ein weiterer Teil seines Vortrags war den sog. Verbandsbußgeldern gem. §§ 30, 130 OWiG und den rechtspolitischen Entwürfen zur Verschärfung des sog. Unternehmensstrafrechts (erwähnt auch im Koalitionsvertrag vom 7.2.2018) gewidmet. Der Nachmittag war zunächst einer Podiumsdiskussion zum Thema „Steuerliche Transparenz im internationalen Umfeld“ gewidmet. Sie wurde eingeleitet durch Impulsreferate von Dr. Stefan Greil, LL. M., Referent im Bundesministerium der Finanzen (BMF) und von Dr. Mathias Hildebrand, MBL, Head of Tax Zalando Group. Moderiert wurde sie von Prof. Dr. Lenhard Jesse. Greil stellte einleitend dar, dass es heute üblich geworden sei, persönliche Daten gegenüber Google und anderen Internet-Dienstleistern preiszugeben, dass sich viele aber gegen eine Preisgabe ihrer Daten gegenüber der Finanzverwaltung wehrten. Hierfür erfuhr er sowohl von Seiten des Podiums als auch aus dem Publikum Widerspruch, wobei geltend gemacht wurde, dass das eine freiwillig geschehe, das andere aber vielfach auf gesetzlich verordneten Pflichten beruhe (Steuerverwaltung als Eingriffsverwaltung). Einig war man sich allerdings, dass die Transparenz generell zunehmen wird und dass es deshalb vornehmlich darum gehen muss, wie man sie vernünftig begrenzen kann. Greil schilderte sodann Transparenzregelungen, die ihren Ursprung v.a. im Rahmen der BEPS-Bekämpfung fänden: Country-by-Country-Reporting, internationaler Informationsaustausch und Anzeigepflichten. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf Risikomanagement-Systeme, wie sie das sog. ICAP beinhalte, das International Compliance Assurance Programme mehrerer nationaler Finanzverwaltungen, zu denen die deutschen Behörden allerdings nicht zählten. Hildebrandt ging in seinem Statement als Unternehmensvertreter darauf ein, dass er einen frühzeitigen Informationsaustausch über steuerliche Vorgänge in Kooperation mit der Finanzverwaltung für grundsätzlich erstrebenswert halte. So würden Sachverhalte schneller und eindeutiger festgestellt und ließen sich demgemäß auch rechtlich besser beurteilen: „Wenn der Sachverhalt klar ist, kann man sich besser über das Recht unterhalten“, sagte er. Hildebrandt verwies auch darauf, dass insbesondere Transaktionssteuern digital viel schneller bearbeitet werden könnten. Auch Portugal, Spanien und Polen hätten schon digitale Meldepflichten für Transaktionen (z.B. Verkäufe) eingeführt und erzielten damit gute Ergebnisse. Greil führte hierzu aus, dass die Technologie beiden Seiten helfe. Der Finanzverwaltung helfe sie, ihre Personalnot zu beheben, den Unternehmen sei sie dabei hilfreich, administrative Lasten zu senken. Die Gegenleistung der Finanzverwaltung für die Kooperation bestehe in Rechtssicherheit, diese erfordere Transparenz. Auch hierzu gab es allerdings Widerspruch. Prof. Dr. Musil kleidete diesen in die Worte: „Wer kooperiert, bekommt Rechtssicherheit. Wer nicht kooperiert, bekommt keine Rechtssicherheit. Dies ist kein rechtsstaatliches Verhalten.“ Prof. Dr. Jesse wandte außerdem ein, dass das immer wieder vorgetragene Argument derer, die Transparenz forderten, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung fördern zu wollen, auf EU-Ebene in aller Regel gar nicht greife. Dafür seien die nationalen Ertragsteuern viel zu uneinheitlich. Seinem Eindruck nach gehe es den Befürwortern von mehr Transparenz in erster Linie darum, das Steueraufkommen zu vergrößern. Ausführlich wurde deshalb auch noch einmal über das Thema Anzeigepflichten diskutiert. Die einen bezeichneten sie als „gesetzlich angeordnetes Denunziantentum“; die Staaten machten sich einen „schlanken Fuߓ und überzögen die Steuerpflichtigen mit Pflichten, weil sie selbst keine „sauberen“ Gesetze zustande brächten. Andere waren nicht ganz so negativ eingestellt, warnten aber vor einem Übermaß und v.a. vor unklaren Regelungen. Prof. Dr. Musil war in diesem Zusammenhang skeptisch, ob die geplante nationale Anzeigepflicht an mangelnder Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) scheitern werde. Das Bundesverfassungsgericht sei, was den Bestimmtheitsgrundsatz angeht, bekanntermaßen sehr großzügig gegenüber dem Gesetzgeber. Es reiche danach, wenn die Gerichte die betreffende Vorschrift interpretieren und konkretisieren könnten. Die Folge seien allerdings vermutlich zahlreiche und langwährende Rechtsstreitigkeiten. Deutsch befürchtete, dass mit Anzeigepflichten eine riesige, aber weitgehend sinnlose Bürokratie aufgebaut werde. Es bestehe die Gefahr, dass banale kleine Fälle flächendeckend gemeldet würden, bedenkliche, komplizierte und bedeutsame Fälle aber gerade nicht. Jesse pflichtete dem bei und verwies darauf, dass „normale“ Gestaltungen in Großbritannien, wo es eine Anzeigepflicht gebe, praktisch zum Erliegen gekommen seien. Deutsch und Jesse warnten vor zu großer Technikgläubigkeit. In einer abschließenden Podiumsdiskussion mit allen Referenten unter Leitung von Prof. Dr. Musil zeigte sich dieser überrascht, dass sich die Vertreter der Finanzverwaltung und des großen Unternehmens so einig seien in ihrer positiven Bewertung des Transparenzgedankens. Er fragte deshalb ins Publikum, wie man dort die bereits geschaffenen und die anstehenden Transparenzregelungen bewerte. Dabei meldeten sich zahlreiche Berater zu Wort, die an die bisher praktizierten und rechtsstaatlich verankerten Besteuerungsgrundsätze wie den Untersuchungsgrundsatz und das rechtliche Gehör erinnerten und die Einhaltung dieser Grundsätze nach wie vor für geboten hielten. Regelungen, die auf eine größere Transparenz hinzielten, ließen sich möglicherweise nicht verhindern, die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Steuerpflichtigen dürften aber dadurch nicht eingeschränkt oder gar ausgehöhlt werden. Wer die Pflicht habe, Steuern zu zahlen, habe auch das Recht, Steuern zu sparen. Abschließend fragte Musil die Referenten, ob sie die mit der Transparenzstrategie einhergehenden Erschwernisse als eine graduelle, normale oder gar schwerwiegende Erschwerung der steuerlichen Beratung ansehen würden. Die Antworten fielen unterschiedlich aus. Zwar sah keiner der Referenten das „Aus“ der steuerlichen Beratung gekommen, beklagt wurde aber ein deutliches Übermaß an administrativen Lasten (Geldwäschegesetz, Datenschutz, Anzeigepflichten) und eine gefährliche Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses der Bürger zu ihren Beratern. Insbesondere Deutsch wies darauf hin, dass mit Anzeigepflichten auf das Herzstück der Beratung, nämlich die Gestaltungsberatung, abgezielt werde. Dies sei ein rechtsstaatlich äußerst gefährlicher Weg. Prof. Dr. Musil zog abschließend das Fazit, dass bei aller Transparenz sichergestellt sein müsse, dass rechtsstaatliche Anforderungen eingehalten werden. Es sei an der Zeit, sich genau hierüber Gedanken zu machen. Insgesamt bot der 10. Potsdamer Steuertag eine Vielzahl von interessanten Vorträgen und Diskussionsrunden, zu denen man den Veranstaltern nur gratulieren kann. Stand: 14.5.2018


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