12.08.2021, Kategorie Europa

3 Fragen an MdB Christian Petry (SPD)

3 Fragen – 3 Antworten: DStV-Präsident StB Torsten Lüth befragt mit Blick auf die Bundestagswahl die Abgeordneten aus den für Berufs- und Europarecht zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Der steuerberatende und wirtschaftsprüfende Berufsstand hat sich im Rahmen der Krisenbewältigung der Corona-Pandemie als verlässlicher Partner für Wirtschaft und Politik erwiesen. Dafür nimmt er derzeit außerordentliche Belastungen in Kauf. Natürlich stellen sich viele die Frage, wie es nach der Wahl weitergeht.

Wenige Wochen vor dem Wahltermin hat sich StB Torsten Lüth, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes e.V. (DStV), mit jeweils drei zentralen Fragen aus den Bereichen Berufs- und Europarecht an die jeweils zuständigen Abgeordneten der Bundestagsfraktionen gewandt. In diesem Beitrag antwortet Christian Petry, MdB Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Frage 1: Das Berufsrecht der Steuerberater*innen in Deutschland unterliegt den Regeln des Europäischen Binnenmarktes und damit nach Artikel 4 Abs. 2 der AEUV der geteilten Zuständigkeit sowie dem Subsidiaritätsprinzip.

Sehen Sie aufgrund des zunehmenden Drucks der Europäischen Kommission sog. „Hindernisse“ im Europäischen Binnenmarkt abzubauen mittelfristig noch eine Gestaltungsmöglichkeit für den nationalen Gesetzgeber bei den bestehenden Berufsrechten der Steuerberater*innen? Oder sind die Freien Berufe, so wie wir sie heute kennen, ein Auslaufmodell? 

 

MdB Christian Petry: Auch in Zukunft wird der nationale Gesetzgeber Gestaltungsmöglichkeiten haben. Dass die Grundfreiheiten des Binnenmarktes horizontal wirken, ist ein seit Jahrzehnten bekanntes Phänomen. Auch wenn dies in einzelnen konkreten Fällen als belastend empfunden wird, würde die gesamte Logik der europäischen Integration und des Binnenmarktes zusammenbrechen, wenn die Mitgliedstaaten Regelungen erlassen könnten, die die Grundfreiheiten aufheben. Viele uns heute selbstverständlich erscheinende Sachverhalte, wie etwa dass Mineralwasser ohne Kohlensäure in Deutschland verkauft werden darf, ist das Ergebnis der Durchsetzung der Grundfreiheiten. Dabei ist es wichtig, dass grundlegende Wertvorstellungen und öffentliche Belange, etwa die des Verbraucherschutzes, nicht unter der Durchsetzung der Grundfreiheiten leiden. Dafür ist die EU-Ebene, die nur solche Probleme im Binnenmarkt nachgehen sollte, bei denen es zu wesentlichen Störungen seiner Funktionsfähigkeit kommt, ebenso verantwortlich wie der nationale Gesetzgeber, der dafür Sorge zu tragen hat, dass Regelungen, die Einschränkungen für die Ausübung der Grundfreiheiten mit sich bringen, auf das zum Erreichen der öffentlichen Belange notwendige Maß beschränkt bleiben.

Insofern sehe ich nicht, dass die sogenannten „Freien Berufe“ ein Auslaufmodell sein sollten. Wobei der Begriff etwas irrführend ist, denn diese Berufe sind ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Zugang zu ihnen alles andere als frei ist, sondern durch verschiedene, zum Teil erhebliche Beschränkungen gekennzeichnet ist. Aber diese Beschränkungen rechtfertigen sich damit, dass sie zum Erreichen der öffentlichen Belange notwendig sind. Diese Rechtfertigungsnotwendigkeit gibt es nicht nur gegenüber europäischem Recht, sondern auch gegenüber der Berufsfreiheit des Grundgesetzes. Nach diesen Maßstäben sehe ich nicht, wieso es zu einer grundsätzlichen Veränderung im Bereich der „Freien Berufe“ kommen sollte.

 

Frage 2: In internationalen Fachkreisen gilt das deutsche Berufsrecht mit den Steuerberater*innen als Organ der Steuerrechtspflege allgemeinhin als beispielhaft für die Sicherung von hoher Qualität, den Schutz von KMU, von Verbrauchern und als verlässliche Komponente für die Finanzbehörden. Die Europäische Kommission begründet die Notwendigkeit eines Abbaus von sog. „Hindernissen“, sprich Berufsrechten im Europäischen Binnenmarkt, dagegen mit mehr Wirtschaftswachstum. Rechtfertigt diese Begründung den Abbau von Berufsrechten?

 

MdB Christian Petry: Trotz der, wie Sie es ausdrücken, internationalen Anerkennung des deutschen Berufsrechts als beispielhaft ist es meiner Kenntnis nach noch nicht von anderen EU-Mitgliedstaaten kopiert worden. Nur Österreich hat immer schon vergleichbare Regelungen, wie es aus historischen Gründen auch in anderen Rechtsbereichen häufiger der Fall ist. Es bleibt daher die dauerhafte Aufgabe, die Vorzüge des deutschen Systems und die Notwendigkeit seiner Beibehaltung objektiv zu belegen und zu kommunizieren, weil es in anderen Rechtssystemen unbekannt ist. Mehr Wirtschaftswachstum ist sicher ein wichtiges Ziel, solange es sozial und nachhaltig ist. Aber dass der Abbau der Hürden beim Berufszugang mehr Wirtschaftswachstum auslöst, ist erst einmal eine Behauptung. Auch die EU-Kommission muss hier nachvollziehbare Belege dafür liefern. Und auch dann wäre das kein Argument, das alle anderen sticht. Denn wichtige öffentliche Belange, wie der Verbraucherschutz, sind mindestens ebenso wichtig.

Deshalb hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz gegenüber der EU-Kommission für die Belange der Steuerberater*innen eingesetzt. Wir werden uns auch weiterhin für eine qualifizierte Beratung und die dafür erforderlichen Regelungen stark machen.

 

Frage 3: Was ist Ihnen mit Blick auf Deutschlands Rolle in Europa besonders wichtig?

 

MdB Christian Petry: Deutschlands langfristige Zukunft ist ohne die Europäische Union nicht denkbar und die Europäische Union ist ohne Deutschland nicht denkbar. Wir sind nicht trotz, sondern wegen der europäischen Integration ein lebenswertes Land mit politischer Stabilität, großem Wohlstand und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Das verleugnet nicht die unbestreitbaren Probleme im Einzelnen, aber man darf dabei das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Wir haben daher als Land mehr Verantwortung für das Gelingen des gemeinsamen europäischen Projektes, als vielen bewusst ist. Nach dem Brexit schaut der Rest der Europäischen Union und des übrigen Europas noch mehr auf unser Land und seine politische Führung als schon bisher. Deshalb, aber auch aus vielen anderen innenpolitischen Gründen, muss Olaf Scholz Bundeskanzler werden!

 

 


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