04.06.2020, Kategorie Archiv Europa

Von der Blockade zur Kooperation? Der lange Weg zur Mehrheitsentscheidung in Steuersachen

Europa schickt sich an, die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bekämpfen. Der größte Binnenmarkt der Welt wird dazu unter anderem mit einem bisherigen Tabu brechen und erstmals eigene Schulden in Höhe von rund 750 Mrd. Euro aufnehmen. Genau 70 Jahre nach der historischen Schuman-Erklärung und gut ein Jahrzehnt nach dem Beginn der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise schreitet die EU-Kommission mit einem Paradigmenwechsel mutig voran. Vor diesem Hintergrund könnte auch die Debatte über die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Steuerpolitik an Fahrt gewinnen. Wo Geld ausgegeben wird, muss es auch wieder eingenommen werden. Im Zuge der Vorstellung ihres „Next Generation EU“-Konjunkturpakets kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits weitere Vorschläge zur Reform der EU-Eigenmittel an. „Um die Rückzahlung der am Markt aufgenommenen Finanzmittel zu erleichtern und den Druck auf die nationalen Haushalte weiter zu verringern, wird die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt der Finanzperiode zusätzlich zu den 2018 vorgeschlagenen neuen Eigenmitteln weitere neue Eigenmittel vorschlagen“. Die 2018 vorgeschlagenen neuen Eigenmittelkategorien sehen einen Anteil an der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), einen Anteil der Versteigerungseinnahmen aus dem Emissionshandelssystem der EU und einen nationalen Beitrag der anfallenden nicht wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff (Plastiksteuer) vor. Hier hätte sich auch die Finanztransaktionssteuer einreihen können, wären erste Überlegungen aus 2011 noch heute mehrheitsfähig. Dieser kurze Überblick über die geplanten Eigenmittel der EU, die erstmalige Schuldenaufnahme und die Reformankündigung der EU-Kommission verdeutlichen, dass die EU durch die Krise als Ebene der fiskalischen Intervention an Bedeutung gewinnen wird. Der vorgelegte 750 Mrd. Euro-Plan sieht vor, die zusätzlichen Mittel über den EU-Haushalt und den noch zu beschließenden Mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021 – 2027 (MFR), zu verteilen. Damit drängt sich die Frage nach der Mitsprache des Europaparlaments auf. Das Europäische Parlament ist bereits heute über das „ordentliche Gesetzgebungsverfahren“ an der Erstellung von Prioritäten und der Vergabe von Geldern aus dem EU-Budget gleichrangig mit Ministerrat beteiligt. Das Europäische Parlament fordert bereits seit langer Zeit eine Mitsprache beim Erlass von europäischen Steuergesetzen. Derzeit erlässt der Ministerrat materielles Steuerrecht gemäß dem sog. besonderen Gesetzgebungsverfahren. Das besondere Gesetzgebungsverfahren basiert auf dem Einstimmigkeitsprinzip. Alle Finanzminister im sogenannten EcoFin-Rat müssen dem Gesetzestext zustimmen. Zwar muss das Europäische Parlament im Verfahren angehört werden; es hat faktisch aber kein Mitspracherecht. Die Steuerpolitik ist neben der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der letzte große Politikbereich, der diesem besonderen Gesetzgebungsverfahren unterliegt. Die Juncker-Kommission unterbreitete 2019 einen Vorschlag, wie ein Übergang vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren aussehen könnte. Der Plan mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer effizienteren und demokratischeren Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik“ beinhaltet ein vierstufiges Verfahren mit langen Übergangsfristen. Die Kommission hält einen Übergang bis 2025 für realistisch. • In einem ersten Schritt würde die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei Maßnahmen angewandt, die keine direkten Auswirkungen auf die Besteuerungsrechte, Bemessungsgrundlagen oder Steuersätze der Mitgliedstaaten haben, aber für die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sowie für die Erleichterung der Steuerehrlichkeit der Unternehmen im Binnenmarkt entscheidend sind. • In einem zweiten Schritt sollte die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit Maßnahmen umfassen, die überwiegend steuerlicher Art sind und andere politische Ziele unterstützen sollen. • Der dritte Schritt würde darin bestehen, sich auf Steuerbereiche zu konzentrieren, die bereits weitgehend harmonisiert sind (Mehrwertsteuer/ Verbrauchssteuern), und die weiterentwickelt und an neue Gegebenheiten angepasst werden müssen. • Der vierte Schritt würde die Einführung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei anderen Initiativen im Steuerbereich (z.B. Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage) umfassen, die für den Binnenmarkt und für eine faire und wettbewerbsorientierte Besteuerung in Europa notwendig sind. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält am bisher eingeschlagenen Reformvorhaben ihres Vorgängers fest. Ihrem für Steuerfragen zuständigen Kommissar Paolo Gentiloni hat sie den Auftrag erteilt, den Eintritt in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren als eine seiner Prioritäten umzusetzen. Die ehrgeizigen Vorhaben der EU-Kommission, den European Green New Deal steuerlich zu begleiten, war bereits vor Ausbruch der Covid19-Pandemie ein Hebel für die EU-Institutionen Kommission und Parlament den Druck auf die Mitgliedstaaten zu erhöhen. Mit der Schuldenaufnahme und der sich abzeichnenden Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten wird auch die Besteuerung des Binnenmarkts und das Verfahren zur Erhebung neuer Steuergesetze in Europa an Brisanz gewinnen. Der DStV begleitet die Diskussionen zu diesem Politikbereich. Wir haben uns zu den Entwürfen und Fortschritten bereits in Stellungnahmen am 8.11.2018 und 22.1.2019 geäußert. Stand: 3.6.2020


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