Entrümplung des steuerlichen EU-Besitzstandes – aber wie genau?

Auf der ETAF-Konferenz in Brüssel diskutierten europäische Steuerexperten die hochaktuelle Frage, wie sich das EU-Steuersystem bei gleichbleibender Effektivität vereinfachen lässt. Der DStV war durch seinen Vizepräsidenten StB/WP Christian Böke in der Paneldiskussion vertreten.
Der Abbau bürokratischer Hürden und überbordender Berichtspflichten und die Vereinfachung der Gesetzgebung zählen zu den Kernvorhaben der aktuellen europäischen Legislaturperiode. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der EU im globalen Vergleich nachhaltig zu stärken. In diesem Zusammenhang will die EU-Kommission auch die EU-Gesetzgebung im Bereich Steuern reformieren. Doch wie kann dieses Vorhaben konkret umgesetzt werden?
Mit dieser Frage beschäftigten sich Vertreter der EU-Institutionen, Steuerexperten und Berufsträger aus verschiedenen Mitgliedstaaten bei einer Veranstaltung des europäischen Dachverbandes ETAF (European Tax Adviser Federation) des Deutschen Steuerberaterverbandes e. V. (DStV) im Brüsseler Hotel Renaissance. Aufgrund der unterschiedlichen Standpunkte der Teilnehmer war eine kontroverse Diskussion somit vorprogrammiert.
Nach der Eröffnung durch den ETAF-Präsidenten Philippe Arraou, widmeten sich die Teilnehmer des ersten Panels der praktischen Umsetzung des Vorhabens der EU-Kommission, den steuerlichen Besitzstand der EU zu vereinfachen. DStV-Vizepräsident StB/WP Christian Böke betonte, dass selbst erfahrene Berater durch die derzeitige steuerrechtliche Komplexität an ihre Grenzen stoßen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verfügten häufig nicht über die Ressourcen, sich sicher im Regelwerk zu bewegen. Ihnen kämen gezielte Vereinfachungen und der Abbau von Berichtspflichten besonders zugute. Darüber hinaus forderte er aus praktischer Sicht, zusätzliche Meldepflichten zu vermeiden, da bereits bestehende Vorgaben spürbare Belastungen verursachten. Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) könnten zwar hilfreiche Werkzeuge sein, den Abbau bürokratischer Hürden und verhältnismäßige Vereinfachungen jedoch nicht ersetzen. Das Steuerrecht müsse, trotz technologischer Fortschritte, für Unternehmen und Berater handhabbar bleiben.
Maria Elena Scoppio, Direktorin für indirekte Steuern und Steuerverwaltung bei der Generaldirektion Steuern und Zollunion (TAXUD.C) der EU-Kommission, skizzierte den steuerpolitischen Rahmen der EU. Sie machte deutlich, dass Vereinfachungen nicht die Zielsetzungen bestehender Regelungen in Frage stellen dürften. Es gelte vielmehr, stabile steuerliche Rahmenbedingungen zu wahren. Auch Johan Langerock, Berater der Grünen/EFA im EU-Parlament für Steuer- und Wirtschaftspolitik, betonte, dass Steuervereinfachung nicht mit Deregulierung gleichgesetzt werden dürfe. Die Grünen seien allerdings ein Partner, wenn es darum ginge, dass europäische Steuersystem zu vereinfachen. Das Panel wurde durch Michalis Hadjipantela von der Europäischen Volkspartei (EVP) ergänzt. Er ist Abgeordneter des EU-Parlaments aus Zypern und hatte kürzlich in einem Initiativberichtsentwurf im ECON-Ausschuss eine stärkere Ausrichtung der EU-Steuerpolitik auf Vereinfachung, Digitalisierung und verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ziel eines wettbewerbsfähigeren Steuerumfelds in Europa gefordert.

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Im zweiten Panel nahmen Henrik Paulander von der Generaldirektion Steuern und Zollunion (TAXUD) der EU-Kommission, Pieter Baert, Politikanalyst beim Wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments, sowie Philippe Vanclooster vom belgischen Institute for Tax Advisors and Accountants (ITAA), die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden (DAC) genauer unter die Lupe. Die DAC ist Grundlage für die Pflicht zur Mitteilung grenzübergreifender Steuergestaltungen nach §138d Abgabeordnung. Vanclooster kritisierte die zunehmende Komplexität sowie den hohen Verwaltungsaufwand. In der Praxis seien die Meldepflichten der DAC zu umfangreich und mit einem erheblichen Interpretationsaufwand durch unterschiedliche nationale Auslegungen verbunden. Dies könne in der Praxis dazu führen, dass kriminelle Handlungen nicht gemeldet werden müssen, nicht kriminelle Handlungen jedoch schon. Zudem bemängelte Vanclooster, dass eigentlich staatliche Aufgaben, wie die Beschaffung von Daten zur Bekämpfung unerwünschter Steuervermeidung, zunehmend auf den Berufsstand abgewälzt werden. Abschließend erörterte das Panel die künftige Entwicklung der DAC-Richtlinie und die mögliche Einbindung der UNSHELL-Richtlinie in DAC10.
Aus Sicht der ETAF war die hohe Teilnehmerzahl der Konferenz besonders erfreulich. Neben einem gut gefüllten Saal in Brüssel durfte die Organisation über 1.600 online zugeschaltete Zuschauer aus ganz Europa begrüßen.