05.02.2019, Kategorie Archiv

Legal Tech – eine Revolution

„Digitalisierung und Legal Tech: eine deutsch-französische Perspektive“ – so lautete das Motto einer sehr interessanten Campus-Veranstaltung, welche die Pariser Anwaltskammer in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Anwaltverein vom 31.1.2019 bis zum 1.2.2019 in Berlin veranstaltete. Für den DStV nahm auf Einladung beider Organisationen DStV-Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Axel Pestke an der Veranstaltung teil. „Jedes juristische Problem lässt sich bei ausreichender Akribie in Nullen und Einsen zerlegen“, so das Credo eines der Referenten. Eröffnet wurde das Symposium von RA’in Eva Schriever, Leiterin der Abteilung Internationales, Europa und Menschenrechte des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Sie nahm ebenso wie ihr französischer Kollege, Dominique Heintz, Avocat in Paris und Brüssel, Bezug auf den jüngst unterzeichneten neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, der auf eine noch stärkere Zusammenarbeit beider Länder abziele. Da sei es nur natürlich, dass die Anwaltschaften beider Länder ihre traditionell guten Beziehungen nutzten, um auch Zukunftsfragen miteinander zu erörtern und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Legal Tech sei eine solche Zukunftsfrage, die Rechtsanwälte weltweit vor neue Herausforderungen stelle. Am Vormittag des Eröffnungstages fanden zunächst zwei mit Vertretern beider Länder besetzte Panel-Diskussionen statt. Die erste Diskussionsveranstaltung beleuchtete das Thema Legal Tech im Hinblick auf Relevanz und Praxis bei großen und kleinen Kanzleistrukturen. Der Moderator, RA Adi Seffer aus Frankfurt am Main, schilderte zunächst den Fall einer spanischen Anwaltspraxis mit rd. 300 Rechtsanwälten, von der Mandanten beraten würden, ohne jemals in einen persönlichen oder telefonischen Kontakt zu dem bearbeitenden Berufsträger zu treten. Die Beratung erfolge ausschließlich mittels einer App. Die Mandanten registrierten sich und erhielten juristische Antworten und Verhaltensempfehlungen nur auf elektronischem Wege. Die Mandanten zahlten zunächst eine geringe Einschreibegebühr; abgerechnet werde das Mandat nur im Falle eines positiven Ausgangs. Dabei handele es sich nicht um ein Erfolgshonorar, wie es das deutsche Recht im Ausnahmefall zulasse, sondern um die „normalen“ Anwaltsgebühren. Ein solches Angebot sei für Verbraucher offenbar sehr attraktiv, auch wenn sich hier nach bisherigem deutschem Recht zahlreiche Fragen stellen würden. Alles sei im Fluss, dabei bewirke der technologische Fortschritt disruptive Geschäftsmodelle. – Auch der Vorsitzende des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins und Direktor des Bucerius Center of the Legal Profession RA Markus Hartung betonte, Verbraucher dächten anders als Rechtsanwälte. Zum Thema Legal Tech allgemein äußerte Hartung: „Was Maschinen gut können, sollten Rechtsanwälte nicht tun.“ Legal Tech erleichtere für viele den Zugang zum Recht und sei deshalb grundsätzlich positiv zu bewerten. – Eine französische Anwältin Nathalie Casouche, selbst Gründerin eines Legal-Tech-Start-ups, zitierte den Philosophen Michel Serres (Sorbonne und Stanford-University): „Diese Technologie verurteilt uns dazu, intelligent zu sein.“ Damit meine sie, dass sich Rechtsanwälte die neuen technologischen Möglichkeiten aneignen und zunutze machen müssten. Schließlich seien es die Rechtsanwälte, welche die Juristerei beherrschten. Legal Tech könne den Anwälten helfen, besser zu werden. Sie begrüßte deshalb die Schaffung eines sog. Legal Tech Incubators, einer Beratungsstelle über Legal Tech, welchen die Pariser Rechtsanwaltskammer ins Leben gerufen habe. – Der deutsche Rechtsanwalt Philipp Caba war derjenige, der äußerte, jedes Rechtsproblem lasse sich in Nullen und Einsen zerlegen. Er berichtete von seinen Erfahrungen mit verschiedenen von ihm gegründeten und betreuten Legal Tech Unternehmen. Daraus leitete er die Empfehlung ab, dass Rechtsanwälte stärker lernen sollten, „in Produkten zu denken“: Es gebe viele Rechtsprobleme, die sich standardisiert lösen ließen. Zur Entwicklung von Legal Tech-Anwendungen genüge es vielfach schon, Gemeinsamkeiten zwischen ähnlichen Fallkonstellationen aufzudecken und sich ihrer standardisierten Lösung zuzuwenden. Es gehe also primär um Fälle, die hundert- oder tauschendfach vorkommen und dabei große Gemeinsamkeiten aufweisen. Ziel sei nicht der „juristische Maßanzug“, sondern der „qualitativ hochwertige Anzug von der Stange“, der die Bedürfnisse und Erwartungen der ganz überwiegenden Mehrheit der Mandanten befriedige. Zur Entwicklung solcher Lösungen seien Rechtsanwälte als „Schöpfer“ gefordert, als „créateurs juridiques“. Neben solchen „Architekten des Rechts“ (legal architects) werde es zukünftig weiterer Berufe bedürfen, um den Bedarf nach Legal Tech-Lösungen zu erfüllen: es würden auch „Ingenieure des Rechts“ (legal engineers) und „Betreiber des Rechts“ (legal operators) gebraucht. – In der anschließenden Diskussion äußerten Teilnehmer allerdings auch die Befürchtung, dass sich zukünftig nicht Rechtsanwälte ihre technologischen Werkzeuge, sondern dass sich vielmehr die technologischen Werkzeuge ihre Rechtsanwälte suchen würden. In der zweiten Panel-Diskussion unter Leitung von RA Christian Duve, dem Vorsitzenden der Task Force Legal Tech des Deutschen Anwaltvereins, ging es um das Phänomen der Künstlichen Intelligenz (KI) am Beispiel von „Predictive Justice“. Diese Technologie ermöglicht die Erstellung von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten für die Lösung eines bestimmten rechtlichen Problems und damit z.B. auch die statistisch begründete Vorhersage zukünftiger Gesetzgebungsakte und Gerichtsentscheidungen. Nach einer sehr interessanten Einführung des Mathematikers Jacques Lévy Véhel über die Herleitung und Definition Künstlicher Intelligenz wurden der derzeitige Stand der KI in der Juristerei und die möglichen Weiterungen diskutiert. Dabei beschrieb RA Michael Grupp, ein Experte für Rechtstechnologien, die typischen Probleme, vor die sich KI im Bereich juristischer Anwendungen phänomenologisch gestellt sieht: diese lägen nicht in dem Bereich der Sachverhaltsanalyse und –bearbeitung, weil hier meist auf klar konturierte Fakten und statistische Werte zurückgegriffen werden könne; insofern könne die Wertung auch oft dem Laien überlassen werden, z.B. bei Diensten wie flightright. Problematisch sei der Bereich, in dem es um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Wertungsmöglichkeiten gehe. So verstünden unterschiedliche Rechtsordnungen z.B. den Begriff „Vertrag“ sehr verschieden, was die Subsumtion bedeutend schwieriger mache. – Dies bestätigte auch Rechtsanwalt Jérémy Bensoussan aus Paris, ebenfalls ein Experte für Legal Tech und Mitglied einer Arbeitsgruppe zum Thema „Robotikrecht“: Für den Computer sei die juristische Subsumtion derzeit noch wesentlich schwieriger, als für den Rechtsanwalt, der über das notwenige Hintergrundwissen verfüge, um seine Arbeit zu versehen. Dennoch lernten Computer mit Hilfe der KI die faktischen Hintergründe, den Konex zu juristischen Begriffen, mit der Zeit immer besser „zu verstehen“, so dass sich das Phänomen „Predictive Justice“ weiter entwickeln werde. Den offiziellen Höhepunkt der Veranstaltung boten sodann Ansprachen von Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley, DAV-Präsident RA Ulrich Schellenberg sowie der Präsidentin der Pariser Anwaltskammer Marie-Aimée Peyron. Fortgesetzt wurde die Konferenz mit Themen wie dem Zugang zum Recht im Zeitalter der Digitalisierung, Smart Contracts und Blockchain und vielem mehr. Darüber hinaus gab es einen sog. Legal Tech Live Pitch, bei dem deutsche und französische Legal-Tech-Start-ups ihre Projekte vorstellten. Bemerkenswert war, wie unterschiedlich die Auffassungen der Teilnehmer darüber waren, wie die Anwaltschaft zukünftig mit dem Thema Legal Tech umgehen sollte. Zum Teil wurde quasi ein Verbot von Legal Tech-Anwendungen gefordert: derartige Anwendungen erfüllten den Begriff der Rechtsdienstleistung und dürften nicht von Nicht-Anwälten angeboten werden. Andere zweifelten, ob es sich hier um Rechtsdienstleistungen handele, forderten aber eine Regulierung dahingehend, dass solche Angebote nur durch Rechtsanwälte bzw. unter ihrer fachlichen Aufsicht entwickelt und nur durch sie angeboten werden dürfen. Wieder andere schlugen vor, besondere Anforderungen an die nicht-anwaltlichen Legal Tech-Anbieter in einem gesonderten Gesetz zu regeln. Manche Anwälte plädierten dementgegen dafür, Legal Tech nicht als Bedrohung, sondern als Chance für die Anwaltschaft zu betrachten. Legal Tech beinhalte nur solche Angebote, für die man keinen Rechtsanwalt benötige. Darunter seien viele Anwendungen, welche die tägliche Arbeit des Rechtsanwalts erleichterten: so z.B. die Datenanalyse, die Fertigung von Dokumenten oder die Beantwortung von Standardfragen. Einig war man sich darin, dass Legal Tech die Praxis der Anwaltschaften weltweit verändern wird und dass es deshalb im Interesse jedes Anwalts liege, den weiteren Entwicklungen in diesem Bereich größte Aufmerksamkeit zu widmen. Stand: 05.02.2019


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