02.03.2016, Kategorie Archiv

Orwell’s 1984 und Steuern: Automatischer Informationsaustausch und Steuerprofiling

Orwell schildert in seiner bekannten Dystopie „1984“ einen totalitären Überwachungsstaat. Von einem „totalen Fiskalüberwachungsstaat“, wenn nicht die Interessen von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen gleichermaßen berücksichtigt werden, sprach Prof. Dr. Johanna Hey, wissenschaftliche Direktorin des Instituts Finanzen und Steuern (ifst). Hey trug im Rahmen eines Kolloquiums ihres Hauses am 15.2.2016 im Bundesministerium der Finanzen (BMF) vor. Für und Wider des Datenaustauschs Datenaustausche seitens der Steuerbehörden verschiedener Ländern erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Ungeteilte Freude ist auf Seiten der „Datensubjekte“, der Steuerpflichtigen, allerdings nicht zu verzeichnen. Denn es bestehen eine Reihe von Bedenken wie fehlende Transparenz, unbefriedigte Auskunftsansprüche der Steuerpflichtigen, unzureichender Datenschutz und unvorhersehbare Auswirkungen des sog. Steuerprofiling auf die Geschäftsaktivitäten. Über die Notwendigkeit des steuerlichen Informationsaustauschs herrscht sowohl bei Befürwortern als auch bei Kritikern generell Einigkeit. Deutschland verfolgt grundsätzlich das Prinzip der Besteuerung des Welteinkommens; die Finanzverwaltung ist jedoch hinsichtlich Erhebung und Vollstreckung territorial auf das Inland beschränkt. Dadurch entsteht die Gefahr eines strukturellen Vollzugsdefizits. Dieses stünde einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung entgegen und würde gleichzeitig unfairen Steuerwettbewerb und Steuerhinterziehung begünstigen. Die ursächliche asymmetrische Informationsverteilung zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden lässt sich durch vermehrten Informationsaustausch überwinden. In diesem Sinne hoben auch die Teilnehmer des Podiums als Schattenseite von Big Steuer-Data vor allem den Aspekt der Transparenz hervor. Das geschäftliche Risiko, welches aus fehlenden Auskunftsansprüchen resultiert, mahnte der Vertreter des steuerlichen Berufs Prof. Dr. Stephan Eilers, LL.M. (Tax) in der Podiumsdiskussion an. Die Steuerpflichtigen hätten keine Kenntnis darüber, welche Daten von ihnen für welche Zwecke und wohin ausgetauscht werden. Das Geschäftsrisiko bereitete auch Dr. rer. Pol. Wolfgang Salzberger, Konzernsteuerabteilungsleiter bei Linde, Sorge. Er befürchtete in seinen Ausführungen, dass die Vielzahl der erhobenen Daten eine Datenbasis erschaffen, auf welcher Risikoprofile neu eingeschätzt werden. Ein solches Steuerprofiling setze die betroffenen Unternehmen der Willkür des entsprechenden Staates aus. Seinen Erfahrungen nach sei ein „aggressiver“ Steuervollzug beispielsweise in asiatischen Ländern anzutreffen. Die Transparenz schaffende Lösung sah Hey in einer standardmäßig zu gewährenden Akteneinsicht anstelle punktuell vollzogener Anhörungen. Vielzahl an Rechtsgrundlagen Bereits heute ist ein spontaner, anfragegebundener und automatischer Informationsaustausch allgegenwärtig, dessen Grundlagen in einer verwirrenden Vielzahl an Rechtsnormen festgeschrieben sind. „Katalysator“ dieser Entwicklung ist das 2010 in Kraft getretene FATCA-Gesetz in den USA, welches 2012 auf ein bilaterales Abkommen mit u. a. Deutschland ausgeweitet wurde. Der Trend ist ebenfalls geprägt von einer steigenden Anzahl an Staaten, mit denen Deutschland ein Abkommen zum Informationsaustausch geschlossen hat. Rechtsgrundlagen finden sich in völkerrechtlichen Vereinbarungen, im Gemeinschaftsrecht und in nationalen Normen. Die Übersicht des Deutschen Steuerberaterverbands e.V. (DStV) stellt die verschiedenen Rechtsgrundlagen dar und nimmt eine zeitliche Einordnung vor. Auf völkerrechtlicher Ebene enthalten die Doppelbesteuerungsabkommen vom Einkommen und Vermögen gemäß dem OECD-Musterabkommen in Artikel 26 und 27 Ausführungen zum Informationsaustausch. Auf nationaler Ebene garantieren beispielsweise § 117 AO und das FKAuStG (Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen) zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen. Ferner existieren verschiedene Verwaltungsanweisungen (BMF-Schreiben v. 10.11.2015, BStBl. I 2016, S. 138; v. 23.11.2015, BStBl. I 2015, S. 928; v. 16.12.2015, BStBl. I 2015, S. 1047). Die Pionierrolle im Austausch von Steuerinformationen auf Ebene der Europäischen Union nimmt die Zinsrichtlinie (2003/487EG) ein. Später folgte die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (2011/16/EU), die als DAC (Directive on Administrative Cooperation) oder Amtshilferichtlinie bezeichnet wird. Dieser rechtliche Rahmen wird durch die sogenannten DAC1 (z. B. automatischer Informationsaustausch von 5 Arten von Einkommen und Vermögen), DAC2 (Austausch von Finanzkonteninformationen), DAC3 (z. B. Vorabbescheide) und DAC4 (Country-by-Country-Reporting) erweitert. Ferner sieht auch die EU-Beitreibungsrichtlinie (2010/24/EU) Amtshilfe bezüglich der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern und Abgaben durch innergemeinschaftlichen Datenaustausch vor. Ein beachtlicher Teil der Abkommen zum Datenaustausch basiert auf der Betätigung der OECD. So stammt das Muster-TIEA (Tax Informationen Exchange Agreement) aus ihrer Feder. Nach dem Multilateral Competent Authority Agreement/Common Reporting Standard (MCAA/CRS), welche den spontanen Austausch von Konteninformationen vorsieht, bringt die BEPS-Initiative weitere Entwicklungen zum Steuerdateninformationsaustausch mit sich. Diese umfassen Vereinbarungen zum Country-by-Country-Reporting (CbCR-MCAA) und zum spontanen Informationsaustausch von Tax Rulings (Vorabbescheiden). Mechanismen zum Datenschutz Nicht nur Unternehmen sind die aus dem Informationsaustausch resultierenden Probleme hinsichtlich der Datensicherheit und des Datenschutzes ein Dorn im Auge. Obwohl Doppelbesteuerungsabkommen und die TIEA Datenschutzerklärungen auf deutschem Niveau enthalten, bestehen an der Wahrung der informationellen Selbstbestimmung des deutschen Steuerbürgers Zweifel. Prüfungseinrichtungen und -handlungen umfassen die von der OECD etablierte Instanz des sogenannten Global Forums. Zukünftig soll zudem für Staaten, die den automatischen Informationsaustausch CRS anwenden, die Arbeitsgruppe AEOI mit vorgezogenen Prüfungen des Datenschutzes und der Datensicherheit betraut werden. Diese Prozesse sind nach MR Ernst Czakert, der das BMF auf dem Podium der Veranstaltung vertrat, Mittel zum Monitoring der anderen Staaten. Für den DStV nahmen an dieser informativen Veranstaltung Geschäftsführer RA/StB Norman Peters, die Leiterin der Steuerabteilung RAin/StBin Sylvia Mein, Europarechtsreferent StB Dipl.-Kfm. René Bitter sowie die Referentinnen für Steuerrecht Daniela Ebert, LL.M., und Annekathrin Wernsdorf, B.Sc., teil. Stand: 1.3.2016

PDF Download

Bisher keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

9 + 1 =