10.07.2017, Kategorie Archiv

Steuerrecht und Beratung in Zeiten der Digitalisierung: Veranstaltung an der Humboldt-Universität Berlin

Spannende und drängende Zukunftsfragen standen im Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Veranstaltung, die am 6. Juli 2017 an der Humboldt-Universität in Berlin stattfand. Der Verein zur Förderung des Bilanz- und Steuerrechts sowie der Wirtschaftsprüfung Berlin und Brandenburg e.V. (VFBSW e.V.) hatte hierzu den Abteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen, Ministerialdirektor Michael Sell, und den Leiter des DATEV-Informationsbüros in Berlin, Torsten Wunderlich, eingeladen. Das Motto lautete: „Digitalisierung – Was heißt das für das Steuerrecht und die Berater?“. In Anwesenheit von Wissenschaftlern, Organisationsvertretern, Berufsangehörigen und Studierenden wurden die tiefgreifenden Veränderungen diskutiert, welche die digitale Revolution und die damit einhergehende Dematerialisierung von Wertschöpfungsketten im materiellen Steuerrecht und in der Beraterschaft nach sich ziehen werden. DStV-Hautgeschäftsführer Prof. Dr. Axel Pestke, der kurzfristig als Vertretung für den eigentlich vorgesehenen Moderator eingesprungen war, leitete die sich an die Vorträge anschließende Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum. Materielles Steuerrecht Sell machte gleich zu Beginn seines Vortrags deutlich, dass er in dessen Verlauf mehr Fragen stellen, als fertige Antworten geben werde. Dies sei der Tatsache geschuldet, dass sich bisher für viele gewichtige und offene Fragen, die mit der weltweiten Entkörperlichung von Produkten und Dienstleistungen einhergingen, noch keine übereinstimmenden, konsensualen Antworten hätten finden lassen. Dabei stellten sich nicht nur Fragen des internationalen Informationsaustauschs, wie z. B. bei der Besteuerung von Erträgen aus Geschäftsmodellen wie Uber und Airbnb, vielmehr gehe es angesichts der Abnahme körperlicher Anknüpfungspunkte für Besteuerungsrechte wie Betriebsstätten etc. auch um das Thema, ob in Zukunft, wenn immer weniger Umsätze im Bereich der Realwirtschaft und immer mehr Umsätze in der Digitalwirtschaft getätigt werden, den jeweils betroffenen Staaten ein Steueranteil dafür zukommen soll, dass sie einen Markt für digitale Umsätze zur Verfügung stellen. Als Stichworte nannte Sell in diesem Zusammenhang die – bisher eher nicht überzeugenden – Überlegungen, die auf eine Herabsetzung der Anforderungen an den Betriebsstättenbegriff abzielen, außerdem die französische Idee einer Bits and Bites-Steuer und das internationale Projekt BEPS II, welches kürzlich angestoßen wurde. Auch machte Sell deutlich, dass es eine Illusion sei, die Digitalwirtschaft mit denselben steuerlichen Regelungen besteuern zu wollen, wie die Realwirtschaft. Die digitale Wirtschaft arbeite anders und müsse deshalb auch anders besteuert werden. Wie genau dies zukünftig von statten gehen soll, müsse aber erst noch herausgefunden werden. Auswirkungen auf die Beraterschaft Wunderlich warf in seinem Vortrag die Frage auf, ob der Steuerberater ein privilegierter Digitalisierungspartner für mittelständische Unternehmen sein könne. Er verwies darauf, dass der Wert der von Steuerberatern traditionell angebotenen Dienstleistungen angesichts der zunehmenden Vernetzung und Automatisierung in naher Zukunft abnehmen werde. Die Fähigkeit, dies auszugleichen, werde aus seiner Sicht maßgeblich von dem zukünftigen Technologie-Einsatz bestimmt. Dabei gehe es auch darum, sich nicht von den relevanten Datenströmen, die die Grundlage zukünftiger Beratungen bilden, abkoppeln zu lassen, sondern solche Daten in die eigene Kanzlei zu leiten. Diskussionsrunde In der von Pestke moderierten Diskussionsrunde ging es zunächst um den Aspekt, welche Aussichten dafür bestehen, die von Sell in Anbetracht der Digitalisierung aufgeführten Fragen zur zukünftigen Verteilung des globalen Steueraufkommens auf internationaler Ebene übereinstimmenden Lösungen zuzuführen. Sell zeigte sich optimistisch, dass dies auch in Zeiten einer unübersichtlicher gewordenen Weltlage letztlich gelingen werde. Einem Teilnehmer, der dies skeptisch sah, entgegnete er, Regeln könnten und müssten geändert werden, wenn sich Verhältnisse ändern. Das gelte auch mit Blick auf technologische Veränderungen. Gute, d. h. sachangemessene und ausgewogene Rechtssetzung komme letztlich allen zugute und sei besser als protektionistische Maßnahmen. Einem anderen Teilnehmer, der eine Ausweitung der indirekten Steuern als möglicherweise leichter umsetzbare Handlungsoption vorschlug, antwortete Sell, dass eine solche Ausweitung zwar grundsätzlich denkbar sei, aber ebenfalls nicht einseitig betrachtet oder übertrieben werden dürfe. Danach ging es um die von Pestke aufgeworfene Frage, ob die Digitalisierung ausschließlich oder vornehmlich eine Bedrohung des Steuersubstrats darstelle, die Gegenmaßnahmen der betroffenen Steuergesetzgeber und Finanzverwaltungen erfordern, oder ob die neuen Technologien auch zu einer Verbesserung materieller steuerlicher Regelungen genutzt werden können. Als Beispiel nannte Pestke die Idee, mit Hilfe der Blockchain-Technologie dem Umsatzsteuerbetrug zu begegnen (vgl. Groß, UR 13/2017, S. 501f.). Sell bejahte die Frage grundsätzlich, warnte allerdings auch vor den damit einhergehenden möglichen Gefahren totaler oder sehr weitreichender Transparenz. Der gläserne Bürger komme bei solchen Überlegungen immer näher und es sei politisch und unter Beachtung der Freiheitsrechte der Bürger zu entscheiden, wie weit der Einblick des Fiskus in solchen Fällen reichen soll. In Italien gebe es im Vergleich zu Deutschland bereits heute viel weitergehende Einblicksrechte des Fiskus als in Deutschland. Unter den Anwesenden bestand Einigkeit, dass unverhältnismäßige Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger und ihre Freiheit zu legalem wirtschaftlichen Handeln zu vermeiden sind. Anknüpfend an den Vortrag von Wunderlich ging es sodann um die Frage, ob Steuerberater angesichts der tiefgreifenden technischen Veränderungen in der Lage sein werden, mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Mandanten und konkurrierenden Angeboten Dritter Schritt zu halten und den Mandanten sogar als Digitalisierungscoaches zur Seite zu stehen. Wunderlich zeigte sich hier optimistisch, auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher noch vieles zu tun gebe. Das bisherige E-Government auf steuerlichem Gebiet bezeichnete Wunderlich als „mäßig erfolgreich“. Das ändere sich aber gerade und unterstreiche die Notwendigkeit, sich auf neue technische Lösungen einzustellen. Auf diesem Wege müsse weiter vorangeschritten werden. Als Fazit der Veranstaltung konnte festgehalten werden, dass sich die Wirtschaft und in deren Folge auch das Steuerrecht durch die Digitalisierung weltweit verändern werden und dass es gerade diese Veränderungen sind, welche die Beratung durch entsprechend qualifizierte Steuerberater in Zukunft noch wichtiger werden lassen. So endete die Veranstaltung mit dem Hinweis an die im Saal anwesenden Studierenden: Wer sich diesen Herausforderungen stellt, hat beste Perspektiven! Aus dem Kreis der DStV-Verbände nahm der Geschäftsführer des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg, StB Syndikusrechtsanwalt FAStR Ldw. Buchst. Simon Beyme, an der Veranstaltung teil. Stand: 10.7.2017


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